INTERVIEW MIT RALPH DOMMERMUTH

Herr Dommermuth, wie blicken Sie auf das Geschäftsjahr 2022 zurück?

Positiv. Wir haben den Wachstumskurs der United Internet Gruppe konsequent fortgeführt und verzeichnen erneut einen Anstieg bei den wichtigsten Kennzahlen – Kundenverträge, Umsatz und operatives Ergebnis.

Im Geschäftsbereich „Access“ stand auch 2022 insbesondere im Zeichen des Aufbaus des 1&1 Mobilfunknetzes auf Basis der innovativen Open-RAN-Technologie. Trotz Verzögerungen bei der Bereitstellung von Antennenstandorten haben wir erneut wichtige Wegmarken erreicht. Darunter die erfolgreiche Inbetriebnahme unseres neuartigen 5G-Netzes mit dem ersten Service „1&1 5G zu Hause“. Zudem haben wir 2022 weitere zentrale Partnerschaften für die Funkturminfrastruktur geschlossen und mit Orange einen starken Partner für das Internationale Roaming gewonnen.

Aber auch im Geschäftsbereich „Applications“ hat sich viel getan. Während wir unsere Consumer-Marken GMX, WEB.DE und mail.com auch durch den vermehrten Einsatz von künstlicher Intelligenz weiter zu umfassenden Kommunikations- und Informationsplattformen ausgebaut haben, standen bei IONOS die Vorbereitungen auf den im Februar 2023 erfolgten Börsengang im Fokus.

Nach Rakuten in Japan und Dish in den USA ist 1&1 der dritte Netzbetreiber weltweit und der Erste in Europa, der ein vollständig virtualisiertes Open RAN im Live-Betrieb gestartet hat. Wie sahen die Vorbereitungen auf den Produktstart aus und was kann man sich unter dem ersten Service „1&1 5G zu Hause“ genau vorstellen?

„1&1 5G zu Hause“ ist ein 5G-Festnetz-Ersatzprodukt, realisiert über Mobilfunk. Anders als bei fest verlegten Glasfaser- oder Kabelanschlüssen erfolgt die Datenübertragung drahtlos via 5G und WLAN-Router direkt ins Wohnzimmer.

Die Leistungsfähigkeit unseres ersten 5G-Produktes haben wir im Rahmen mehrwöchiger Friendly User Tests in Frankfurt, Mainz und Karlsruhe im Sommer 2022 unter realen Bedingungen intensiv getestet. Neben Geschwindigkeiten von über einem Gigabit pro Sekunde und einem stabilen Datentransfer von mehr als acht Terabyte innerhalb eines Tages, konnten wir in einem Gaming-Showcase Reaktionszeiten von unter drei Millisekunden erzielen. Das ist ein absoluter Spitzenwert, der erst durch die cloud-native Netzarchitektur und die dezentralen Rechenzentren unseres neuartigen Mobilfunknetzes möglich ist. So entstehen für das 1&1 Open RAN deutschlandweit über 500 regionale Edge-Rechenzentren in unmittelbarer Nähe unserer Antennenstandorte – angebunden an Glasfaserleitungen und ausgestattet mit Gigabitantennen. Applikationen, die hier laufen, profitieren von extrem kurzen Übertragungswegen, die für Echtzeitanwendungen unabdingbar sind. Das Ziel ist klar: Als vierter Netzbetreiber tritt 1&1 an, um Deutschland bei 5G nach vorne zu bringen.

Basierend auf den sehr guten Ergebnissen des Friendly User Tests haben wir das 1&1 Open RAN im Dezember 2022 planmäßig an den uns zur Verfügung stehenden Antennenstandorten in Betrieb genommen. Eine technologische Höchstleistung, die zeigt, wie innovativ Mobilfunknetze heute gebaut werden können. Auch die Bestrebungen der etablierten Netzbetreiber, ihre bestehende Infrastruktur in Teilen auf die neue Technologie umzurüsten unterstreicht, dass Open RAN die Zukunft ist.

Sie haben es zu Beginn bereits adressiert: Während die Netztechnik funktionsfähig ist, kam es im vergangenen Jahr zu erheblichen Verzögerungen beim Ausbau der Antennenstandorte. Was steckt dahinter?

Im September 2022 hat uns unser Hauptlieferant für die Bereitstellung von Antennenstandorten abschließend darüber informiert, seine vertraglich vereinbarten Ziele nicht erfüllen zu können. Der nahezu vollständige Ausfall von Vantage Towers kam für uns überraschend und war bis zum Ende des Jahres nicht aufzuholen. Das erste Zwischenziel von 1.000 5G-Antennen bis Anfang 2023 haben wir deutlich verfehlt. Eine mögliche aktive Behinderung im 1&1 Netzausbau seitens Vodafone, die Vantage Towers als Hauptanteilseigner mit rund 82 Prozent kontrollierte, wird aktuell durch das Bundeskartellamt geprüft.

Bereits im April 2022 haben wir mit American Towers und GfTD zwei weitere renommierte Partner für die Funkturm-Infrastruktur beauftragt. Seit November 2022 unterstützt Eubanet zudem als vierter Partner bei der Akquise neuer Antennenstandorte im 1&1 Open RAN. Wir setzen nun alles daran, den Rückstand beim Ausbau der Antennenstandorte schnellstmöglich aufzuholen.

Was sind die nächsten Schritte im Ausbau des vierten deutschen Mobilfunknetzes?

Wir halten an unserem Plan fest, im dritten Quartal 2023 mit mobilen Diensten für die Smartphone-Nutzung zu starten. Zu diesem Zeitpunkt steht planmäßig das parallel von Telefónica zu entwickelnde Nationale Roaming bereit, über das wir unseren Kundinnen und Kunden bereits während der Aufbauphase unseres 1&1 Open RAN flächendeckende Verbindungen bieten werden.

„Als vierter Netzbetreiber tritt 1&1 an, um Deutschland bei 5G nach vorne zu bringen.“

RALPH DOMMERMUTH

Zum Start der mobilen Dienste steht zudem auch das Internationale Roaming zur Verfügung. Um unsere Kunden auch während Aufenthalten im Ausland verlässlich mit sehr guten Mobilfunkleistungen zu versorgen, haben wir im November 2022 eine langfristige Partnerschaft mit Orange abgeschlossen. Im Rahmen der Kooperation haben wir Zugriff auf die weltweiten internationalen Roaming-Dienste des französischen Netzbetreibers und seiner weltweiten Partnernetze, inklusive der neuesten Technologien.

IONOS galt bereits 2021 als heißer Kandidat für einen Börsengang. Im vergangenen Jahr liefen die Vorbereitungen für den IPO des Hosting- und Cloud-Anbieters dann auf Hochtouren, bevor am 8. Februar 2023 die Glocke auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse läutete. Was stand hinter der Entscheidung für den IPO von IONOS?

IONOS hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Entwicklung hingelegt und eine starke Position als führender europäischer Digitalisierungspartner für kleine und mittlere Unternehmen erreicht. Mit innovativen Cloud-Services adressiert IONOS zudem einen Markt mit enormen Wachstumspotenzial. Im Jahr 2021 hat IONOS erstmalig die Grenze von einer Milliarde Euro Umsatz überschritten. 2022 wuchs dieser weiter um rund 17 Prozent.

In Anbetracht des starken Wachstums war ein Börsengang der nächste logische Schritt in der Unternehmensgeschichte, den wir in den letzten Jahren gemeinsam mit dem IONOS-Anteilseigner Warburg Pincus vorangetrieben haben. Die Erfolgsgeschichte, das resiliente Geschäftsmodell und die attraktiven Zukunftsaussichten haben weltweites Investoreninteresse gefunden. Wir sind überzeugt, dass der Börsengang für IONOS viele neue Wachstumschancen eröffnet, und freuen uns darauf, die Entwicklung des Unternehmens als Mehrheitsaktionär weiter zu begleiten.

Was erwarten Sie vom Geschäftsjahr 2023?

Für das Geschäftsjahr 2023 erwarten wir ein Umsatzwachstum auf ca. 6,2 Mrd. €. Das EBITDA soll trotz zusätzlicher Investitionen in unsere Zukunftsthemen unverändert auf dem Niveau von 2022 bleiben. In dieser Prognose sind insbesondere zunehmende Anlaufkosten bei 1&1 für den 5G-Netzausbau in Höhe von ca. 120 Mio. € (Vorjahr: 52 Mio. €) enthalten.

Als europäischer Internet-Spezialist mit über 10.000 Mitarbeitenden und rund 67 Millionen Kunden-Accounts, ist es unser Ziel, die digitale Zukunft Deutschlands aktiv zu gestalten. Wir freuen uns darauf, den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auch in den kommenden Jahren offen und bereit zu begegnen.