INTERVIEW MIT RALPH DOMMERMUTH

Herr Dommermuth, wie blicken Sie auf das Geschäftsjahr 2019 zurück?

2019 war für uns ein wegweisendes Jahr, in dem wir den Grundstein für ein eigenes Mobilfunknetz gelegt haben. Denn mit der erfolgreichen Teilnahme von 1&1 Drillisch an der Auktion von 5G-Frequenzen verfügen wir nun über das notwendige Spektrum, um ein leistungsfähiges 5G-Netz aufzubauen. Damit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, uns neue Geschäftsfelder zu erschließen und die Wertschöpfungskette im Geschäftsbereich Consumer Access erheblich zu vertiefen.

Auch im Segment Applications haben wir im vergangenen Jahr einiges erreicht. So haben wir die Eigenständigkeit des Bereichs Business Applications weiter vorangetrieben und dies durch das Rebranding unserer Marke IONOS (früher 1&1 Internet) dokumentiert. Im Bereich Consumer Applications setzen wir immer mehr auf Big Data und haben unseren Login-Standard netID weiter etabliert.

Sie sprechen davon, die Wertschöpfungskette vertiefen zu können – welche Vorteile bietet ein eigenes 5G-Netz konkret für ihr Geschäftsmodell?

Ein eigenes Netz zu betreiben, eröffnet enormes Potenzial für unsere Unternehmensentwicklung. Insbesondere, da es sich bei 5G um mehr als einen neuen Mobilfunkstandard handelt – 5G bildet die Grundlage für die weitere Digitalisierung und Vernetzung Deutschlands.

Aktuell beziehen wir im Mobilfunk Vorleistungen von Vodafone und Telefónica und haben, anders als in unseren anderen Geschäftsbereichen, dadurch eine vergleichsweise flache Wertschöpfung. Ein eigenes Netz zu betreiben bietet wesentliche Vorteile: Wir sind unabhängiger vom Zugang zu den Netzen der etablierten Anbieter, können unser Netz gemäß den Bedürfnissen der Kunden maßschneidern, unsere Produkte noch besser differenzieren und neue Geschäftsfelder erschließen. Als Neueinsteiger haben wir beim Bau unseres Netzes zudem die Chance, von Beginn an auf die modernste Technologie setzen zu können – ohne auf die Komplexität von Alt-Netzen Rücksicht nehmen zu müssen.

Für dieses neue Kapitel in unserer Unternehmensgeschichte sind wir sehr gut aufgestellt. Denn neben einem großen Kundenstamm, starken Marken und einer ausgeprägten Expertise in der Entwicklung von Applikationen, haben wir Zugriff auf eines der größten Glasfasernetze Deutschlands. Das rund 50.000 km lange Netz unserer Tochter 1&1 Versatel wird das Rückgrat unseres künftigen 5G-Netzes bilden.

Die Frequenzauktion hat nach historisch langen 497 Runden am 12. Juni 2019 geendet. Was hat sich seither in Sachen Netzaufbau getan?

Es ist einiges passiert. Im ersten Schritt wurden die Gespräche mit den etablierten Netzbetreibern zum Thema National Roaming – der Nutzung von Fremdnetzen während der Aufbauphase unseres eigenen Netzes – aufgenommen. Gleichzeitig laufen die Verhandlungen mit potenziellen Partnern für den Netzaufbau, deren 5G-Infrastruktur wir inzwischen erfolgreich getestet haben.

Zudem hat 1&1 Drillisch wie angekündigt zwei Frequenzblöcke aus dem 2 GHz-Bereich bei Telefónica angemietet, durch die der Zeitraum bis die ersteigerten Frequenzen aus diesem Bereich nutzbar sind, überbrückt werden kann. Auch der MBA MVNO Vertrag wurde um fünf Jahre verlängert und sichert 1&1 Drillisch so langfristig Zugang zum Telefónica Netz. Der MBA MVNO Vertrag sieht ja vor, dass 1&1 Drillisch den Vertrag auf Wunsch in eine National Roaming-Vereinbarung umwandeln kann.

Mit dem Bundesverkehrsministerium hat 1&1 Drillisch außerdem eine Vereinbarung getroffen, die es ermöglicht, die Kosten für die ersteigerten Frequenzen – 1,07 Mrd. € – in Raten zu zahlen. Im Gegenzug werden wir mehrere hundert Antennen im ländlichen Raum aufstellen und so auch als Neueinsteiger zur Versorgung „weißer Flecken“ beitragen. Der Ausbau erfolgt in Kooperation mit den anderen Netzbetreibern – ein Beweis dafür, dass kein Netzbetreiber ein leistungsstarkes 5G-Netz für ganz Deutschland alleine bauen kann.

Was fehlt nun noch zum Start Ihres Netzes? Wann wird 1&1 Drillisch voraussichtlich den ersten Spatenstich machen?

Voraussetzung für den Bau des Netzes ist ein faires National Roaming Abkommen. Denn als Neueinsteiger müssen wir in den Jahren unseres Netzaufbaus bestehende Mobilfunknetze mitnutzen können, bis wir selbst eine flächendeckende Abdeckung sicherstellen können. Dies ist international gängige Praxis.

„Ein eigenes 5G-Netz bietet enormes Potenzial für unser Unternehmen, da es sich bei 5G um mehr als einen neuen Mobilfunkstandard handelt – 5G bildet die Grundlage für die weitere Digitalisierung und Vernetzung Deutschlands.“

RALPH DOMMERMUTH

Bisher haben unsere Verhandlungen mit den etablierten Netzbetreibern keine wirtschaftlich vertretbaren Angebote hervorgebracht. Sollten die Verhandlungen auch in der kommenden Zeit nur wenig konstruktiv verlaufen, bauen wir auf die Bundesnetzagentur, die ihre Funktion als Schiedsrichter schnell und effektiv wahrnehmen muss.

Im nächsten Schritt werden wir dann unsere Verhandlungen mit potenziellen Netzausrüstern zum Abschluss bringen und uns für die Partner entscheiden, die uns leistungsfähige Netzkomponenten zu attraktiven Konditionen anbieten und die natürlich auch alle bestehenden Sicherheitsanforderungen in Deutschland erfüllen.

Auch im Geschäftsbereich Applications hat sich im vergangenen Jahr einiges getan – Stichwort Rebranding und Big Data. Wo geht die Reise hin?

Wir haben ja schon vor zwei Jahren damit begonnen, unser Segment Business Applications stärker auf eigene Füße zu stellen und von der Marke 1&1 zu lösen. Im abgelaufenen Jahr haben wir die zweite Stufe des Rebrandings eingeleitet, von „1&1 IONOS“ zu „IONOS by 1&1“. Gleichzeitig haben wir den gesamten Bereich intern neu organisiert. Ein Schwerpunkt ist dabei unser Cloud-Geschäft, das wir noch stärker im Markt verankern wollen und in dem wir enormes Potenzial für künftiges Wachstum sehen.

Im Bereich Consumer Applications setzen wir in Zukunft verstärkt auf Künstliche Intelligenz und Big Data. Dabei sind wir natürlich den strengen europäischen Datenschutzregeln verpflichtet. Als einer der Gründer der netID Foundation ist es unser Ziel, weitere Partner an Bord zu holen, um diesen europäischen Log-In-Standard flächendeckend auszurollen.

Was erwarten Sie vom Geschäftsjahr 2020?

Angesichts der Coronavirus-Krise wird dieses Jahr für unser Land und unsere gesamte Volkswirtschaft sehr herausfordernd. Als Internet-Unternehmen mit stabilen und robusten Abonnement-Modellen sind wir gut aufgestellt, um diese außergewöhnliche Situation zu meistern. Wir erwarten daher für das Geschäftsjahr 2020 Umsatz und Ergebnis auf Vorjahresniveau.